Tarot – wie fühlt sich Kartenlegen an?

"Okay, ich geh jetzt rein", sage ich in das kleine Mikrofon am Rande meiner Hand, bevor ich absende. Es ist ein Dienstagnachmittag, kurz vor 17:00 Uhr. Ich bin pünktlich, sogar ein bisschen zu früh. Daran merkt man, dass ich nervös bin. Hinter mir zieht das Gewitter auf, dass die Stadt uns schon für heute Mittag versprochen hatte, die Luft klebt zusammen, selbst wenn man mit einem Ziel durch sie hindurchgehen will. 

Ich bin mit Jasmin verabredet. Den Termin habe ich am letzten Freitag gemacht. Aus einem Bauchgefühl heraus. Und dieses Gefühl gilt sowohl für sie, als auch für die eigentliche Erfahrung.

Die Entscheidung fiel in einem einzigen Moment, ganz intuitiv..

Bis eben habe ich niemandem davon erzählt, dass ich das hier vorhabe. Gerade dann aber doch zwei Freundinnen in meine Aufregung eingeweiht.
Ich habe mir schon immer mal die Karten legen lassen wollen. Seit so langer Zeit habe ich die Faszination fürs Tarot, für Orakel, für spirituelle Vorahnungen – nur habe ich mich noch nie näher, als an ein Buch herangetraut. Oder schlicht nicht gewusst, wo oder bei wem ich anfangen sollte. 

Auf einem Jahrmarkt? Kaum. Online oder über eine anonyme Hotline? Niemals.



Woher könnte ich ahnen, ob ich da wirklich eine spirituelle Erfahrung mache, auf jemanden treffe, der tiefer fühlt, Verbindung spürt oder schlicht sein Geld mit einer weichen Stimme für 1,39 c/min verdient. Woher kann ich wissen, ob die Frau, der ich ein Stück meiner Seele zeigen will, sie wirklich sieht und versteht – oder mir nur erzählen wird, wann ich meinen vermeintlichen Traummann finde, als wäre das die einzige Frage, die eine Frau an Jahrtausende alte Karten zu stellen hätte. Es wird so viel Geld mit dem Konzept verlorene Menschen zu täuschen, dass mein Misstrauen leider genauso groß wie meine Neugierde ist – oder war.



Als ich Jasmin ganz pragmatisch über Google finde, ist es ein einziges Gefühl, das entscheidet. Sie strahlt auch in Daten umgerechnet menschliche, ehrliche Wärme aus – und Offenheit. Nichts an ihr wirkt inszeniert oder aufgesetzt.
Sie wohnt nicht weit von mir entfernt und lädt mich zu einer persönlichen Beratung bei sich zu Hause ein. Ich buche eine Stunde bei ihr. Wenn ich das hier mache, dann nicht, um meine vermeintliche Zukunft abzufragen, sondern mich einzulassen. Einmal ganz.

 

 

* dieser Artikel ist aus meinen Erinnerungen, knapp 1 Jahr nach meiner ersten Erfahrung mit dem Tarot entstanden. Ich gab mir größte Mühe die Gefühle authentisch zu schildern. Wer die Erfahrung selber machen möchte, dem empfehle ich Jasmin von Herzen. Dennoch ist dies hier keine beauftragte Werbung, sondern ein Erfahrungsbericht, 

Als ich dann schließlich durch die Tür gehe, umarmt Jasmin mich herzlich und bietet mir schon im nächsten Atemzug ein Glas Wasser an. Es ist in ihrer Hamburger Altbauwohnung zwar ein bisschen kühler, als in meiner, aber auch hier spürt man die 32 Grad des Julis.
Eigentlich sind es nur 28, die letzten 4 Grad gehören meiner Nervosität. 

Als ich mein Wasserglas auf den Küchentisch stelle und mich setze, springt lautlos eine Siamkatze an meinem Unterarm vorbei und mustert mich still. Ich finde sie sieht aus, wie ein eleganter, wortloser Türsteher, der seine Meinung für sich behält und sie trotzdem längst geformt hat. 
Als würde ich sie trotzdem noch beeinflussen können, kraule ich ihr das Ohr und setze mich.
Die Katze ist aber auch alles, was einen oberflächlichen Stereotypen bestätigen könnte. Die Küche ist hell und weiß, eingerichtet von jemandem, der gerne kocht oder backt, gerne liest, dem kleine Andenken und persönliche Geschichten wichtig sind. Hier gibt es keinen Samt, keine verdunkelnden Tücher, sowieso keine Glaskugel. Das hier ist die Küche einer bodenständigen Frau, die sich der Spiritualität geöffnet hat, aber trotzdem noch auf dieser Welt lebt. Und das mag ich sofort.

„Worüber möchtest du heute mehr erfahren?“, fragt sie mich, nachdem wir uns kurz kennengelernt haben und streicht die Tischdecke vor sich glatt. Darauf liegen neben meinem Wasserglas, das schon leer ist, verschiedene Kartendecks. Jasmin arbeitet mit Lenormandkarten, aber auch mit dem Raider-Waite oder dem Crowley-Tarot.

„Die Lernormandkarten geben mir einen Überblick, malen ein Bild von deiner Zukunft, aber das Tarot geht tiefer, viel weiter in deine Emotionen und in deine Seele hinein. Ich arbeite mit beiden Decks gern, beide sprechen auf unterschiedliche Arten mit mir. Ich entscheide nach Gefühl und Thema, mit welchen ich arbeite.“ 

„Ich glaube ich möchte einfach generell wissen, wohin mein Leben mich treibt. Was es mit mir vorhat“, antworte ich unschlüssig. Und natürlich stimmt das nicht ganz. Ich sage, was Menschen nun einmal sagen, wenn sie zum ersten Mal vor einer fremden Person öffnen sollen, was sie mit Freunden kaum besprechen können, wenn sie Schwäche bekennen und Vertrauensvorschuss gewähren müssen. Natürlich bin ich nicht nur hier, um zu erfahren, wie meine nächsten Monate beruflich, finanziell oder vage allgemein aussehen. Natürlich will ich nicht einfach nur einen Ausblick, eine leichte Wettervorhersage.

Ich bin hier, weil ich nicht weiß, wo ich hingehöre. Nach Hamburg? Nach Südafrika? Noch zu dem Mann, den ich loslassen wollte oder vielleicht zu dem, der zurückgekehrt ist, schon wieder? Werde ich jemals meine größten finanziellen Ängste überwinden, den Ballast loswerden, endlich meine Möglichkeiten voll ausschöpfen? Werde ich den richtigen Buchdeal bekommen? Jemals? Kann das mein Job werden? Was wird mein Job bleiben? Warum fühle ich mich seit 3 Jahren so schwerelos, so taumelnd, warum kann ich nicht einfach fliegen, sondern falle durch die Luft, immer auf der Suche mich irgendwo festzuhalten, endlich anzuwachsen, aber nicht um Wurzeln zu schlagen, sondern um nicht wegzuwehen oder abzustürzen. 

Ich glaube das Jasmin weiß, warum ich eine Stunde lang an diesem Tisch sitzen werde. Warum ich die Stunde brauche. Sie macht es mir leicht, legt mir eine große Tafel mit den Lenormandkarten und lernt mich durch ihre Augen kennen. 

„Du liegst hier wunderbar .“, ist das Erste, was sie in meine angespannte Stille sagt. „Du schaust in dein Leben, in dein Kartenbild hinein, ganz geöffnet und mit so vielen Möglichkeiten um dich.“ 
Sie zeigt mit dem Finger auf meine Personenkarte, schaut noch ein bisschen länger auf die 36 Karten und dann zu mir, die noch immer kein Wort gesagt nicht einmal durchgeatmet hat: „Lina, hast du jemals – Nachrichten empfangen?“ „Was meinst du?“ „Hast du jemals Träume gehabt, die eingetroffen sind, intensive Deja-vus? Hast du mal spirituelle Verbindung gefühlt? Ich sehe hier nämlich, dass dein Geist dafür schon lange bereit und geöffnet ist. Du trägst sehr viel mehr Spiritualität in dir, als du bisher weist oder glaubst, auch wenn du sie vielleicht schon oft gespürt hast. Und wenn das etwas ist, das dich auch interessiert, dann solltest du es verfolgen, dich dichter herantrauen.“ 

Ich erzähle ihr von meiner Urgroßmutter, die früher Karten legte, über deren Gabe aber irgendwie nie jemand in meiner Familie gesprochen hat. Und davon, dass ich tatsächlich manchmal das Gefühl habe, dass ich Verbindungen fühle, dass ich spüre und aufnehme, was anderen nicht bewusst ist, dass sich bei mir manchmal Gefühle von ganz allein in Worte formen. Ich erzähle ihr, das ich bisher nur über das Tarot gelesen habe, aber schon immer fasziniert davon war. Und wie gerne ich in das Thema eintauchen würde, wenn ich nur wüsste, wo ich den Anfang machen kann. Sie lächelt mich an. „Ich kann dir helfen, ich kann dir ein paar Decks zeigen, wenn du möchtest, später, wenn wir genug auf deine eigene Reise geschaut haben.“

Ich sehe mir lange das Schiff an, das schräg über meiner eigenen Karte liegt. Davon segeln, aufbrechen, abhauen oder neu anfangen, das sind Themen, die mir ständig durch den Kopf gehen, Themen auf die ich keine Antwort habe. 

„Du reist gern, du bist gern unterwegs, du suchst gern – und dir fällt das Zurückkommen gerade ein bisschen schwer, oder?“ Ich nicke. „Ich weiß gerade nicht, ob ich komme, gehe oder bleibe. Ich glaube ich würde gerne nach Südafrika auswandern. Aber da gibt es viele Probleme, das kostet alles unglaublich viel Geld und hier in Deutschland ist noch zu viel ungeregelt. Ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Und dann frage ich mich, ob ich nur Zweifel habe oder all die Hindernisse erkenne, weil ich es vielleicht einfach nicht genug will.“ „Du wägst ab. Und du wirst dieses Jahr auch wieder hinfliegen, bleiben wollen und direkt nach deinem Rückflug nach Deutschland wieder zurückkehren. Aber ich sehe dich nicht in naher Zukunft auswandern. Nicht im nächsten Jahr zumindest. Da ist keine Tendenz, dass du wirklich deine Heimat verlässt.“
Irgendwie bin ich okay damit, kann annehmen, was sie mir sagt. Zu hören, dass sie mich meine Zelte tatsächlich bald abbrechen sieht, hätte mich vermutlich in noch größere, innere Unruhe gestürzt. Zu hören, dass sie eine Chance, aber noch nicht die Vollendung sieht, klingt für mich gerade greifbarer. Vielleicht aber auch einfach leichter. „Alles, was ich hier sehe, ist von deinem freien Willen beeinflusst. Du kannst dich umentscheiden, kannst dafür sorgen, dass deine Geschichte einen anderen Weg einschlägt, du manche Entscheidungen verschiebst oder aussetzt – oder von ihnen weggetragen wird. Die Lektionen, die unser Spirit, unsere Seele lernen muss, sind für mich vorbestimmt, aber nicht wie sie es tut.“

"Alles ist von unserem freien Willen beeinflusst. Du kannst dich umentscheiden, kannst dafür sorgen, dass deine Geschichte einen anderen Weg einschlägt, du manche Entscheidungen verschiebst oder aussetzt – oder von ihnen weggetragen wird."

„Bevor du wirklich ans Auswandern denkst, schreibst du erst einmal Bücher. Zwei sehe ich hier.“ 
„Zwei?“ „Ja, zwei ganz unterschiedliche“ „Moment, wirklich zwei? Zwei Bücher?“
Ich habe noch nicht einmal den Vertrag für mein erstes unterzeichnet. Seit Monaten rede ich mit einem Verlag, verhandle noch mit einem zweiten, lehne dann schließlich das Angebot ab und stehe wieder am Anfang, hadere damit, wie lange alles dauert, wie einfach es bei anderen aussieht, dass gerade jeder ein Buch schreibt, dass ich das Gefühl oder vielmehr Angst habe, meins versiegt einfach ungelesen irgendwann. Im Moment ist am Horizont jedenfalls kein Vertrag – und schon gar kein zweiter zu erkennen. 

„Ja, die kommen auf dich zu und du wirst Glück mit ihnen haben, wirst herausgefordert und wertgeschätzt auf ganz unterschiedliche Arten. Lass diese Bücher auf dich zukommen du brauchst da gerade gar nichts zu verfolgen." 



Ich ahne da noch nicht, dass ein Verlag mit einem konkreten Angebot im November auf mich zukommen wird. Und ein zweites Angebot mir im Januar ins Postfach fällt.

„Soll ich auch auf die Liebe schauen, auf Beziehungen?“, fragt Jasmin mich vorsichtig und wartet meine Antwort ab. Mir fällt auf, dass sie generell keine Grenzen überschreitet, sondern mich immer vorher fragt, was und wie viel ich wissen möchte. Ich nicke und schenke mir noch ein bisschen Wasser aus der Karaffe nach, schon wieder.

„Du bist jetzt schon eine ganze Zeit Single Lina. Glücklich. Und bei dir. Du hast viel gelernt – über dich und über das was du willst. Und du hattest noch nie das Gefühl, dass es schlecht ist, dass du am Ende keine Partnerschaften eingegangen bist. Es war wichtig für dich, dass du die letzten Jahre so erlebt hast, wie du sie erlebt hast. Es klingt vielleicht abgedroschen, aber ich sehe hier, dass es genau so sein sollte, wie es ist. Du warst ein paar Mal verliebt, ja, aber es war nie so tief, dass du wirklich, von Herzen, eine Beziehung gewünscht hättest. Du hast dir Nähe gewünscht, die wolltest du immer, du bist ganz neugierig auf und sehr offen mit deinen Gefühlen. Aber wann immer du in dich hineingehorcht hast, wusstest du, dass es das noch nicht war, dass es der noch nicht war. Bis auf einmal…“, sie sieht mich lange an. „Dir liegt jemand auf dem Herzen. Jemand, den du versuchst loszulassen.“ 

Und damit trifft sie ins Schwarze. Ich habe einen ganzen Kontinent zwischen uns gebracht. Um loszulassen. Und trotzdem zuckt die Erinnerung immer noch in mir, das üble Ende, selbst die Stille, die so hängenbleibt.

„Ja, ja da ist jemand. Jemand, der eine große Rolle gespielt hat, in meinem ganzen letzten Jahr. Jemand, der mir irgendwie einfach so vor die Füße gefallen ist und über den ich immer noch stolpere.“ 

Ich erzähle ihr ein bisschen von uns, unserer Geschichte. Und sie mischt das Tarotdeck. 
Es klingt verrückt, aber in dem Moment, als sie die erste Karte des Rider-Waite Tarots aufdeckt, fühle ich eine Verbindung. Es kribbelt in meinen Fingerspitzen und ich bin wie magisch angezogen von diesem Kartenblatt. Ich sehe Kelche, Schwerter, den Magier, den Narren, die Kraft, die Hohepriesterin, den Turm.
„Es ist vorbei“, sagt Jasmin. „Ganz klar vorbei mit euch.“ 

Und in dem Moment fühlt sich ihr Satz wie Erlösung an. Ich kann das schwer beschreiben, aber zu wissen, dass selbst das Universum uns keine Chance mehr einräumt, macht es mir gerade noch leichter – weiter loszulassen, mir zu vertrauen, meinem Bauchgefühl, meiner Intuition, die dieser Geist doch immer wieder erschüttert.

„Aber da ist trotzdem ganz viel zwischen euch. Seelenverwandtschaft.“ Toll.

„Lina, dieser Mann, der hier vor mir liegt. Der weiß nicht, was er will, der wäre gern von Freiheit getrieben, aber wird von Angst festgehalten und eingesperrt. Da ist ganz viel Anziehung zwischen euch, die fühlst du, die fühlt er, aber die wird immer wieder von Illusionen und Geheimnissen gekreuzt. Er wird immer wieder auf dich zukommende weil er bei dir eine Verbindung, Ruhe, Nähe und ganz viel Zuneigung fühlt, aber er wird nie bleiben können. Nie ganz. Ich bin mir sicher, du hörst wieder von ihm.“ 

„Glaub ich nicht.“, rutscht es mir heraus, „Ich hab seit Monaten nichts von ihm gehört. Kein Wort, nicht mal …“, ich breche ab und atme durch. „Ich glaube nicht, dass er sich noch mal bei mir melden wird. Ich glaube, dass ich damit leben muss, dass er sich einfach in Luft aufgelöst hat. Ohne ein Wort.“ 

„Er wird sich melden Lina. Er wird sich immer wieder melden. Du hast dich genau so an ihn geheftet, wie er sich an dich. Aber trotzdem – sehe ich nicht, dass darauf jemals das wird, was du suchst und willst. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass ihr doch irgendwann über diese Hürde fallt, euch findet – aber im Moment, sehe ich da keine Chance. “

Ich brauche einen kurzen Moment um mich zu sammeln.
„Da ist noch ein zweiter Mann… einer, der irgendwie schon seit 5 Jahren in meinem Leben ist. Und gerade ist er wieder da. Wir haben irgendwie nie richtig angefangen und ich frage mich …ob wir es jetzt tun."

Sie mischt neu, konzentriert sich, ich schweige. Als das Blatt im keltischen Kreuz liegt, ist da schon wieder die Hohepriesterin, schon wieder die Kraft, Ritter und Pagen der Stäbe. 

„Lina, der bleibt auch nicht. Er findet dich toll, vielleicht zu toll. Er hat das Gefühl, dass du viel zu groß für ihn bist, dass er dir nie gerecht werden könnte, deinem Leben oder überhaupt der Frau, die du bist. Darum mauert er, lässt dich nicht an sich heran und hält diese Distanz zwischen euch. Dass ihr euch immer wieder über den Weg lauft ist natürlich kein Zufall, es gibt keine Zufälle. Aber es ist vielleicht einfach nur genau die richtige Dosis. Und ich glaube, das wirst du nicht durchbrechen können. Das einzige, worauf er sich einlassen kann, ist die sexuelle Anziehung, aber selbst die macht ihn nervös.“ 

Jasmin mischt abermals, sieht mich dabei lange an und legt ein neues Blatt.

„Ich spüre aber auch, dass du so schnell nicht aufgeben wirst. Das tust du generell nicht. Schau hier, da liegt es ganz klar. Gefühle, Verbindungen sind dein höchstes Gut, das steht für dich über allem. Was du liebst oder zu lieben glaubst, das beschützt du, gegen jede Vernunft oder Regel und noch stärker, wenn man versucht es dir zu nehmen oder auszureden.“ 

Mittlerweile habe ich Gänsehaut. Nicht nur, weil sie mich so genau charakterisieren kann, sondern weil ich ähnliches fühle oder lese, wenn ich auf die Karten, die ich kaum kenne, schaue.


„Lina, auch dieser Mann wird sich immer wieder melden. Aber auch er wird nicht bleiben.“

Es wird noch 6 Monate dauern, bevor ich diese Lesung voll annehmen kann, bevor ich tatsächlich loslasse – aus mir selbst heraus. Aus freien Stücken.

„Aber ich sehe hier jemanden, der gerade in einer Trennung steckt. Er ist noch nicht in Hamburg angekommen, aber er wird hierherziehen. Du wirst ihn durch die Arbeit kennenlernen.“ Ich verziehe mein Gesicht. „Ich will aber niemanden aus meiner Branche kennenlernen.“ 
„Er wird eher im weitesten Sinne damit zu tun haben. Wenn du ihn triffst, hängt es am Ende davon ab, ob du ihn annehmen kannst. Er wäre der Mann, mit dem es einfach ist. Der dich will, mit dem vielleicht sogar Kinder möglich sind.“ 

Alles in meinem Kopf sträubt sich. Ich will keinen Werber, keinen PR-Typen, der in Hamburg eine Familie gründen will. Auf keinen Fall. Nein, nein, nein. Ich will keinen, der einfach ankommen will, weil seine letzte Trennung Zeit gekostet hat. 

Mir ist gar nicht klar, woher meine riesige Abneigung kommt, warum dieser einfache Satz, der ja eigentlich so vage ist, so viel in mir auslöst. Ich will gar nicht mehr über ihn erfahren.

Nach über einer Stunde umarme ich die Frau, die ich eigentlich gar nicht kenne, aber der ich mich trotzdem verbunden fühle. Wir verabreden uns mal einen Kaffee trinken zu gehen. Und das machen wir auch. Immer wieder. Mit Jasmin finde ich eine Mentorin, von ihr lerne ich unglaublich viel über das Tarot – aber auch über meine Spiritualität.

Spiritualität ist kein linearer Wegweiser, sondern ein eigener Kreislauf, du durchläufst keine 10 Schritte und machst danach alles nur noch richtig.. 

***

Heute, ein Jahr später, habe ich zwei Buchverträge vor mir liegen. ich bin nicht ausgewandert. Aber ich bin auch noch nicht überzeugt, dass ich bleibe. Ich habe noch viel in Ordnung zu bringen. 
Ich habe erkannt, warum dieser eine Mann all die Jahre immer wieder kurz an meinem Leben vorbeischrammen musste, warum er es schließlich immer wieder neben mich, in mein Schlafzimmer, auf meinen Balkon, in meine Küche, aber nie wirklich in meine Welt schaffte.
Es hat gedauert, bis ich begriff, dass er genau zum richtigen Zeitpunkt genau am richtigen Ort, hier war. Er war ein bisschen wie Methadon. Wissen, dass man nur einen Ersatz fühlt, aber trotzdem fühlen. Irgendwas fühlen.
Ich will damit nicht sagen, dass ich nur fremde Gefühle auf ihn wie ein Outlet projizierte, das wäre falsch und zu hart, ich war lange angezogen von diesem Mann, der ausgestrahlt hat, was ich suchte: den Ausstieg, Purismus, einfaches, losgelöstes Leben, Gelassenheit, Sehnsucht nach noch mehr von der Welt.
Ich glaube eher, dass ich so ausgehungert nach Liebe und Nähe war, dass ich mich an diejenigen heftete, der am meisten hoffnungslos romantisches Potenzial in mein Leben brachte und wenigstens irgendetwas in mir auslöste, ich potenzierte eher, was ich fühlte, fühlen wollte. Fünf Jahre lang, immer wieder er – in diesem Moment musste das für mich etwas heißen.
Ich habe den Mann, den Jasmin gesehen hat, nie kennengelernt. Ich glaube nicht, dass Jasmin ihn falsch gesehen hat, ich glaube, dass ich ihn vermieden habe, dass ich ihn gar nicht kennenlernen wollte, dass ich anderes mit meiner Geschichte vorhatte. Mein freier Wille hat mich nach Kapstadt getragen. Und auch wenn ich dort nur wieder einen Zwischenschritt, aber nicht meine Destination gefunden habe, fühlt es sich nicht wie Bestrafung an. So als hätte ich eben auf die Karten hören sollen. Sondern so, als hätte ich mich für einen anderen Weg entschieden, auf dem die Chancen in anderer Form, zu anderer Zeit, vielleicht an ganz anderer Stelle wiederkommen. Ich sehe Spiritualität nicht als linearen Wegweiser, sondern als Kreislauf.

Am Ende ist die größte Prüfung, dass du keine harten Beweise mehr für dein Gefühl, deine Intuition verlangst, um ihr zu vertrauen, wenn du dich entscheidest.

Wenn sie dir, ob nun über das Tarot, deine innere Stimme oder einen simplen Impuls, eine Entscheidung aufzeigt – und immer wieder richtig liegt, musst du nur noch lernen ihr zu vertrauen. Ohne vorher abzuwarten, ob sie wirklich recht hat. 
Intuition hat ganz viel mit Mut zu tun. Und ist vielleicht die ehrlichste Stärke, die wir zulassen können.

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Comments

  • Ein wirklich toller Beitrag! Ich würde gerne noch mehr über dieses Thema von dir lesen, da ich mich gerne mehr für die Spiritualität öffnen würde und mehr darüber erfahren möchte.

  • Wahnsinn, was für ein magischer Text. Ich hatte Gänsehaut beim Lesen. Gerade der letzte Absatz, ist finde ich sehr treffend formuliert. Nicht jeder hat diese Gabe, seinen Gefühlen zu vertrauen bzw. sie überhaupt lesen zu können. Toll, dass Du dich getraut hast.
    Ich habe ebenfalls eine Freundin, die die Dinge vorhersehen kann. Sie meinte mal zu mir, sie glaubt nicht, dass sie einfach die Gabe des Hellsehens hat, sondern , dass sie eine besonders gute Intuition hat. Ich bin gespannt, wie Du Deinen Tarot Weg weiter verfolgen wirst.

  • Wow
    absolut toller Beitrag, ich freue mich dass Du deine Erfahrung mit uns auch in dieser Hinsicht teilst. Ich hatte toale Gänsehaut beim lesen da ich mich auch sehr für die spirituelle Seite interessiere. Ich würde mich freuen mehr über deine Erfahrungen zu lesen

  • Wow Lina, danke für diesen besonderen Beitrag. Ich habe es wirklich genossen, mich in die beschriebene Situation hineinzudenken. Danke dass du deine Gefühle und Gedanke geteilt hast! Und btw, wie schön, dass das mit den Büchern geklappt hat!

  • Was für ein wundervoller Beitrag. Ich habe mich zugegebenermaßen bisher kaum mit dieser Thematik – oder allgemein mit Spiritualität – beschäftigt, aber ich finde es unglaublich spannend, was du darüber schreibst. Gerne mehr solcher Artikel 🙂

  • Sehr viel Gänsehaut und Tränen in den Augen! Kenne das Gefühl des Verbundenseins, des Wissens und Vertrauens und oh gott, wie schön es ist! Wahnsinnig toll, authentisch und greifbar geschrieben, liebe Lina!

  • Wirklich schön geschrieben. Ich hab ebenfalls ein großes Interesse an Spiritualität und daher war das Thema für mich super spannend. Ich freue mich drauf deine Bücher zu lesen.
    Liebe Grüße Maja

  • Wow! Einfach wow!
    Wie du deine Erfahrung bei Jasmin beschreibst, ich war so gespannt und interessiert und beeindruckt!
    Bitte schreib mehr über das Thema Tarot und Spiritualität! Ich finde diesen Beitrag wahnsinnig gut und würde gerne mehr lernen.

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