„Ich hab mir jetzt auch mal wieder Tinder runtergeladen“, sagt sie in die Runde und holt wie zum Beweis ihr Handy vor. „Obwohl es eigentlich auch Quatsch ist, ich steh nicht auf One-Night-Stands und was anderes findet man da halt auch nicht..“
Iris ist klar auf der Suche. Auf der Suche nach einem Mann, einem Partner, einer Beziehung. Sie hätte gern ein 15. Date. Es fehlt aber gerade überhaupt am ersten Date. Daran fehlt es schon länger. Iris löscht Tinder im Abstand von jeweils 8 Wochen, nur um die App dann doch wieder zu installieren, ihre Bilder und ihre Bio dort zu updaten, alles – außer ihre Einstellung dazu.
„Ich finde da gar nichts“, wirft meine Freundin Anna fast schon bestätigend ein. „Nur Idioten, die mir eh nie antworten ..“ „Hast du eigentlich noch Tinder?“, fragt sie mich dann über die Schulter. Ich nicke. „Klar..“ „Echt? Ich dachte du ... suchst was Richtiges? Also du willst das eigentlich wieder..“ „Ich suche gar nichts ..“, sage ich und nehme einen Schluck von meinem Drink. „Ich lerne Männer kennen und schau dann, was ich fühle..“ „Na ja, aber wenn du sie über Tinder kennen lernst, ist ja schon vorher klar, dass es nur Sex wird.“ „Mir nicht..“, sage ich und zucke ein bisschen ablehnend mit den Schultern. Tatsächlich führe ich dieses Gespräch nicht zum ersten Mal.
„Ich glaube Tinder ist eigentlich ein ziemlich lehrreicher Spiegel. Es zeigt dir auf, für welchen Typ Mann du dich immer wieder entscheidest, wenn du es aussuchen kannst. Das, was daraus wird, ist nicht von Tinder bestimmt, sondern auch von dir. Wenn du dir eben immer wieder den posenden Modelltyp aussuchst, für den Frauen genau solche Trophäen sind, wie seine Bauchmuskeln – dann ist es doch irgendwie keine Überraschung, dass du auch immer wieder in oberflächlichen Verbindungen landest. Dahinter steckt nicht die App, sondern auch du.“
„Na aber es ist schon so, dass die meisten dort einfach nur Sex wollen. Ganz egal auf welchen Typ man jetzt steht.“
„Und wenn du in eine Bar gehst, wollen alle direkt eine feste Beziehung?“ „Das nicht...“
„Mangelnder Bindungswillen ist jetzt echt kein Thema, das Tinder aufgemacht hat. Ich meine klar, es verstärkt die ganze Thematik über Angebot und Optionen und Daten, als wäre es ein Primark- Sale, in dem man alles erst einmal mitnimmt, weil man es so leicht haben kann und irgendwann feststellt, dass man das aussuchen und genießen verloren hat. Aber am Ende steht ja die persönliche Entscheidung. Wählst du die Schlacht mit den unzähligen Optionen oder nicht?“
„Na ja, aber nur weil ich mich auf Tinder für weniger Optionen und mehr echtes Interesse entscheide, heißt es ja nicht, dass mein Gegenüber das auch tut..es ist einfach so gut wie gegeben, dass Männer auf Tinder nur Sex wollen und sich genau dafür anmelden.“ „Wenn du morgen jemanden bei einem Bier in der Walruss Bar kennen lernst, jemanden triffst, der Tinder ablehnt und nie nutzt, ist das doch aber genau so wenig eine Garantie dafür jemanden gefunden zu haben, der definitiv mehr von dir will, als losen Sex..“
Ich muss an den letzten Mann denken, der vor ein paar Wochen in meinem Bett gelegen hatte, am gleichen Abend als ich vom Dreh für eben jenen Partner und die – #tinderdiaries – wieder nach Hamburg gekommen war. „Und worum ging da heute...?“, fragte er mich und steckte sich bequem über die ganze Länge meines Bettes aus. „Wir haben eine Story für Tinder gemacht, über eines meiner wirklich schönen Tindererlebnisse“, sage ich und schenke uns ein Glas Wein ein, „Mh-hm, weil du Tinder also ziemlich oft nutzt“, murmelt er, sieht mich irgendwie unbequem von der Seite an und sieht aus, als würde er gern die Augen über mich verdrehen. Es fühlt sich an, als hätte ich etwas Falsches gesagt. Als wäre allein der Fakt, dass ich Tinder genutzt habe, schon ein Grund von mir abzurücken, aufgrund der eigenen Vorurteile, die man sich vielleicht sogar nur angelesen oder die man sich aus anderen gesprochen mitgenommen hat.
„Was?“, frage ich. „ Nichts, ich würde die App eben nicht nutzen..“ „Und dass ich sie nutze, sagt darum was genau über mich aus?“, würde ich ihn gern fragen, aber lasse es.
Weiter sprechen wir nicht darüber. In diesen wenigen Worten liegt so viel Wertung, die er sich im Nachhinein nie hätte herausnehmen können oder dürfen. Dass er kein Tinder-Nutzer war, hieß nämlich noch lange nicht, dass er eine Bindung gewollt hätte, besonders ehrlich oder aufrichtig zu mir gewesen wäre oder die Nähe über die Option gestellt hätte. Am Ende hätte er mit seinem Verhalten genau in den negativen Stereotypen eines Nutzer jener App gepasst, die er so ablehnte. Unentschlossen, ungenau und immer mal wieder da – für einen Moment.
„Weißt du“, sage ich zu Sara. „Klar, ich hab miese Dates über Tinder gehabt, solche, die einfach Zeitverschwendung waren oder absurd, manche am Ende einfach nur eine Pointe, die eine gute Kolumne macht. Ich hab dort Männern kennen gelernt, die ich längst wieder. Vergessen hab, die tatsächlich „nur so ein Tinderdate“ waren, das nach 90 Minuten mit einer lauen Umarmung endete. Aber das ist auch ok. Ich hab ja genau so schöne Geschichten erlebt, hab mein irgendwie gebrochenes Herz mit der App geheilt, ich hab überhaupt Daten nach einer langen Beziehung wieder gelernt, hab mir selbst den Druck rausgenommen, manchmal auch einfach nur nen Kaffee und ein gutes Gespräch gehabt, ohne das als Trostpreis zu empfinden. Ich hab in ganz Europa Städte gemeinsam entdeckt, Menschen wiedergefunden, ich hab mich wirklich verliebt, ich hab einfach auch richtig gute, schöne Geschichten mit Tinder geschrieben. Wie sie ausgingen, das hing nie nur von der App ab. Das war nie vorbestimmt.."
Ich glaube das Einzige was vielleicht vorbestimmt ist deine Einstellung. Wenn du mies drauf bist, brauchst du Tinder nicht aufmachen. Aber wenn du mies drauf bist, brauchst du auch nicht ins nächste Café gehen und hoffen, dass dich jemand anspricht und damit deine Stimmung rettet..“
Ich habe eine bisher unveröffentliche Tinderstory in einer Kolumne dem SisterMag erzählt.
Einer der wirklich guten Geschichten, an die ich mich bis heute gern erinnere und die genau das beweisen, was ich auch im Gespräch immer wieder sage, fühle und woran ich glaube: wir selbst bestimmen, wie unsere Beziehungen sich entwickeln, wen wir daten, wen wir uns aussuchen...und wie wir uns dabei fühlen wollen.
Wenn ihr die Kolumne lesen oder das Video, das wir dazu produziert haben, sehen wollte, geht es HIER für euch weiter ..
Ein kurzes zweites Video über mein Traumdate im Baumarkt und warum ich lieber in Bars statt Restaurants gehe, gibts außerdem auch noch"
Hallo Lina,
ein schöner Artikel mit vielen wahren Worten. Ich habe meinen letzten Freund über eine Dating-App kennengelernt und wir waren fünf Jahre zusammen. Und in meinem Freundeskreis gibt es einige ähnliche Geschichten. Vor zwei Wochen hat einer meiner Freunde sein „Tinderdate“ geheiratet, nach 4 Jahren Beziehung einem gemeinsamen Kind. Es gibt also durchaus auch mehr als nur One-Night-Stands zu finden. Mit ein bisschen Glück und der richtigen Einstellung.
Liebe Grüße, Tina
Mein Kommentar hat zwar so überhaupt gar nichts mit dem Thema zu tun & ich glaub ich hab das irgendwie schonmal unter einem deiner Beiträge geschrieben. Bist du eigentlich ein Halloween-Mensch? Mich würde es so richtig mal interessieren, wie du aussiehst wenn dich mal jemand so richtig heftig für Halloween schminken würde. Vielleicht auch mal so als Tipp für Anfänger oder so, wäre das nicht mal was für dich? 🙂
Liebe Grüße!!!
Oh ja da muss ich recht geben ich würde auch gerne mal ein Halloween Make up by Lina sehen 🙂
Hallo Lina,
mir gefallen deine Beiträge sehr. Ich persönlich halte ja von Tinder nichts. Ich hatte auch einen Blogbeitrag darüber geschrieben und ja die Kommentare und Meinungen spalten sich. Sicherlich hätte man viele Personen ohne die App auch niemals kennengelernt. Aber ich möchte (Zitat aus meinem Beitrag) nicht später meinen Kindern erzählen, „ich habe bei eurem Vater nach rechts geswipt – daraus seid eines Tages ihr entstanden“.
Liebe Grüße
Jasmin von http://www.jasminjuin.de
Hmm – ich weiß nicht, ob eine Verbindung, aus der Kinder, Liebe und ein gemeinsames Leben hervorgeht darauf reduziert werden sollte, wie sie angefangen hat. Fände ich irgendwie kurzsichtig. Noch dazu ist die Geschichte: „Euer Papa hat mich beim Dorffest um 02:00 Uhr angesoffen zu Wolle Petry angesprochen..“, ja auch nicht gerade ein Kracher und trotzdem oft der absolut analoge Anfang von etwas wirklich Gutem gewesen ..
Also ich habe meinen Freund auf Tinder kennengelernt. Ich habe nicht direkt nach einer Beziehung gesucht. Eigentlich wollte ich mich vom Ende meiner letzten Beziehung ablenken. Das hat auch gut geklappt. Nach ein paar lockeren Geschichten habe ich dann meinen jetzigen Freund dort kennengelernt. Und ich hasse es, das manche eine fremde Beziehung direkt so ein bisschen „downgraden“ wenn sie erfahren, dass wir uns über Tinder kennengelernt haben. Man merkt es einfach an den Reaktionen und Blicken. Dabei habe ich mich noch nie jemandem so nah und verbunden gefühlt wie meinem Freund. Wir sind einfach wie beste Freunde und Geliebte gleichzeitig. Das hatte ich so krass noch in keiner Beziehung. Und das obwohl ich meine beiden Ex-Freunde so kennengelernt habe, die die Gesellschaft mehr akzeptiert. Natürlich ist mir egal, was andere über uns denken, weil ich ja weiß woran ich bin und was wir aneinander haben. Mich nervt nur diese Hochnäsigkeit mancher Menschen. Und ich denke einem Kind ist scheiß egal, wo sich die Eltern kennengelernt haben, solang sie glücklich sind. Das ist sowieso ein Kopf-Problem unserer und unserer Eltern-Generation. Unsere Kinder werden ja sowieso viel digitaler aufwachsen.
Ich stimme dir in deinem Beitrag in allem zu, Lina.
Tindernutzer und auch Nicht-Tindernutzer, sollten sich einfach mal locker machen.
Hallo Lina,
toll geschrieben und du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.
Tinder und auch jede andere Dating-App kann alles sein, was ich daraus mache. Ich hatte wirklich schlechte Dates, gute und schlechte ONS und habe meinen besten Freund sowie meinen festen Freund dort kennengelernt. Es kann also alles sein, was ich daraus mache.
Natürlich „konsumiere“ ich damit Menschen weg, beurteile aufgrund eines Fotos. Allerdings spreche ich in der Bar auch niemanden an, der mir optisch nicht gefällt. Es hat also im Endeffekt keiner schlechtere Karte oder auch bessere (völlig überarbeitete Bilder und falsche Selbstdarstellung mal außen vor gelassen).
Ich persönlich mag diese Vorurteile nicht. Jeder kann doch das benutzen und so Menschen kennenlernen, wie er selbst möchte und womit er sich wohlfühlt. Wichtig ist doch allein, dass jeder Mensch mit seinem Tun niemanden verletzt und selbst damit zufrieden ist.
Grüße, Julia
Dank, Danke, Danke! Lina, deine Worte sind so gut. So plausibel. Toll, dass du mir immer wieder quasi aus der Seele sprichst oder halt gute Standpunkte vertritts. Blickweisen öffnest. Danke!
Oh, wieder so eine gute Kolumne von dir! Es macht so Spaß, von dir zu lesen!
Wow, so ehrlich und wieder so unter die Haut. Meinen Freund habe ich auch bei Tinder kennengelernt. So what. Klar wird man häufig ungläubig angeschaut, aber mittlerweile denke ich mir keine Alternativgeschichte mehr aus. Ja, es war über Tinder und Nein, das wär mir auch gegenüber unseren irgendwann-mal-Kindern schnurzegal, Wäre es ein Kennenlernen in einer Bar gewesen, hätten wir uns sicherlich auch irgendwie gefunden 🙂 …übrigens keine Einzelstory in meinem Freundeskreis
Ach herrlich! Du triffst es auf den Punkt – es kommt auf die Laune und die Einstellung an. Und dann bleibt es Kommunikation und das Aufeinandertreffen von Menschen – abhängig vom Wandel der Zeit bei der Jugendfreizeit, im Cafe, in einer Bar, im Schwimmbad, im Park oder eben online. Individuen mit unterschiedlichen Absichten, Zielen und Werten treiben sich überall rum 🙂
Jetzt erst über deine Story hierauf gestoßen…du hast so Recht. Als bekäme ich nen Garantieschein für den Mann, der im Rewe nach demselben Apfel greift wie ich, nicht aber für mein Tinderdate. Oder als wäre einer von beiden automatisch ein Idiot. Meine liebste Hassfrage ist: Und was suchst du auf Tinder? Klar, hab ich die Absicht, neue Leute zu treffen. Aber weder schon vorher geplant für nen ONS oder die Hochzeit in weiß. Sehr interessant, dass es argwöhnisch betrachtet wird, wenn man als Frau eine grundsätzlich entspannte Haltung dazu hat.
Direkt den Link an ein paar liebe Mädels weitergeschickt 😀