Nach meinem letzten Beitrag zum Thema, gab es sehr, sehr viele Reaktionen und Kommentare. Und ich mag genau das, ich mag, wenn es lebendig wird, Menschen ihre Gedanken teilen, ein Text die Leute dazu bewegt sich tatsächlich wieder an einer Diskussion zu beteiligen, ein bisschen mehr zu geben. Was man dabei hinnehmen muss: dass nicht jeder deinen Text so versteht, wie du ihn gemeint hast. Das ist normal und etwas, das ich lernen musste und worüber ich erst neulich ein paar Worte verlor, als ich darüber schrieb, wie ich als Autor mit Kritik umzugehen versuche. Jeder bringt seine eigene Perspektive auf geschriebene Worte mit, jeder kommt aus seinen eigenen Erfahrungen heraus zu bestimmten Schlüssen. Und das ist auch ok.
Es geht um die Frage, ob man das eigene, subjektiv privilegierte, glückliche Leben so völlig selbstverständlich als jederzeit erreichbares Alltagsrezept verkaufen muss.
Oder ob das nicht sogar ziemlich arrogant und blind ist.
Was mich in der letzten Diskussion wunderte war, wie viele von euch den Beitrag als Kritik an materieller Zurschaustellung gelesen haben. Viele gaben mir und einander in der Perspektive recht, dass bloßes Präsentieren von persönlichem Reichtum, von käuflichen Dingen oder teuren Leistungen auf ungreifbarem Niveau weder spannend, noch interessant ist. Dass die Identifikation zu den Luxusleben anderer Influencer fehlt, der Content an den vielen Stränden generisch ist. Sicher ein guter Punkt, aber eigentlich einer, der schon so oft behandelt wurde, den ich eigentlich bereits im ersten Absatz kurz anreiße und wieder fallen lasse, weil er eigentlich nur außerhalb des Kerns zirkelt, den ich anpacken wollte. Es ging in meinem Text nicht um eine Kritik an der materiellen Schlacht auf der Plattform-Instagram oder den verzerrten Körperbildern, die dort präsentiert werden.
Das ist alles nicht neu, ich kann dazu auch gar nichts sagen, was nicht andere schon formuliert hätten.
Viel wichtiger aber: es ging auch nicht um die Kritik an der Lebensweise anderer! Es ging zu keinem Zeitpunkt darum zu hinterfragen, wie ein glückliches Leben zu ranken oder zu bewerten wäre, sondern um die Frage, ob man das eigene, subjektiv glückliche Leben so völlig selbstverständlich als jederzeit erreichbaren Alltag verkaufen darf. Ich wollte die grobe Blindheit gegenüber unserer eigenen Privilegien kritisieren, weil ich das Gefühl habe, dass viele sie selbst gar nicht mehr wahrnehmen. Dass so viel für uns selbstverständlich ist, was für Andere Luxus wäre. Nicht nur das, was man mit Geld kaufen könnte. Auch das klar. Aber vor allem mit unseren Freiheiten, mit unserer Zeit, mit unseren Sicherheiten und unseren offenen Türen.
Es geht nicht darum zu neiden, was andere haben. Es geht nicht darum, nicht genug gönnen zu können. In keiner Zeile. Es geht nicht um die nächste Bali-Reise, auf die man als Follower keine Lust mehr hätte.
Es geht um die wirklich kritische Frage: warum schwingt man sich auf anderen die eigenen Privilegien als Rezept fürs Glücklichsein zu verkaufen? Ich finde es arrogant.
Eine Kollegin schrieb neulich in etwa: Feminismus sei für sie so, wie ein Tripadvisor-Pickerl – auf jeder schäbigen Bude drauf und damit komplett aussagelos. Und was die Positivity-Bewegung, die eigentlich, da gebe ich vielen Kommentatoren recht, so so wichtig ist und wäre, betrifft, geht es eigentlich sogar noch einen Schritt weiter. Die ist nicht nur aussagelos. Die ist auch noch geschönt, unwahr und will dabei so sehr genau das sein: echt, greifbar, für andere eine Inspiration.
Dass ihr einen strikten Finanzplan für euer kleines Haus im Grünen habt, den ihr gemeinsam mit viel Couple-Power stemmt, erzählst du, um andere zu inspirieren mehr Risiken mit der eigenen Familie einzugehen.
Dass deine Eltern euch finanziell von zwei Seiten unterstützen, weil euer eigenes Einkommen für die großen Träume nicht ausreicht, das verschweigst du.
Dass Reisen den Horizont erweitert und du jeden Cent sparst, um die Welt zu sehen, erzählst du, um deinen Followern zu erklären, wie leicht auch sie, genau wie du, viel mehr von der Welt sehen könnten.
Dass du bei der Fluglinie, bei der dein Vater arbeitet, nur einen Bruchteil für Tickets ausgibst und in deinen gewählten Hotels als Influencer konstenlos logierst, erwähnst du nicht.
Dass du keinen Tag mehr ohne Zeit für dich, Zeit für einen langen Spaziergang oder eine Auszeit auf dem Balkon verbringen wollen würdest, erzählst du.
Dass du es kannst, weil du freiberuflich arbeitest, weil du ein selbstbestimmter Single bist – vergisst du.
Und es ist ok.
Es ist ok diese Privilegien zu haben, zu genießen, sie zu greifen und zu leben. Aber meine Güte, sei dir ihnen bewusst.Das nennt sich Dankbarkeit. Und das ist ja irgendwie auch so ein Zwischenziel. Sei stolz drauf, aber verkauf sie nicht als Selbstverständlichkeit. Das ist nicht humble. Das ist ignorant.
Es geht nicht um Neid, es geht nicht darum, dass du irgendetwas nicht haben darfst oder verstecken solltest. Tatsächlich geht es um das Gegenteil. Darum, dass der Awareness-Trend, den du da mitfeierst, auch bei dir selbst ankommt. Kurz gesagt: dass du den Leuten da draußen keine Halbwahrheiten, ach ich sags einfach, keine Scheiße erzählst. Dass du nur das feierst, was wirklich passiert ..aber hey, da will ich vermutlich schon wieder zu viel vom Internet.
Mensch Lina…schon wieder Danke! Das tut so gut zu lesen, auch wenn man mal aus der Internet- in die reale Welt blickt, da ist die Freundin, die das mit dem Reisen genauso „sieht“ und durch einen beim Flughafen arbeiteten Schwiegervater „praktiziert“. Der Freundin die Dir sagt, es sei ja langsam mal Zeit einen Mann kennenzulernen, da es ab „30 nun echt langsam schwierig wird“, während sie nicht sieht, dass du dich eigentlich genau danach sehnst, aber den richtigen einfach noch nicht gefunden hast und somit nicht -wie sie- schlicht dieses Glück hattest, die Liebe zu finden.
Klingt kitschig, enttäuscht und ist vielleicht auch genau das. Aber eben noch so viel mehr…
Du hast so recht – mit beiden Texten. Von vielen der „tipps“ zum glücklich sein fühle ich mich oft auch einfach nicht angesprochen. Nachdem ich vor einigen Jahren einen schweren Verlust erlitten habe und daraufhin lernen musste, mit Trauer und Depression zu leben, habe ich in vielen Bereichen wohl eine andere Sicht auf die Dinge. Ja, Sonnenuntergänge können wunderbar sein, sich Zeit für sich selbst nehmen ist natürlich wichtig und die Natur ist unfassbar schön. Trotzdem – was mir bei vielen „Motivations-und-gute-Laune-influencern“ fehlt ist das Zugeständnis von schweren Zeiten. Manchmal ist die Welt einfach dunkel, manchmal muss man einfach Dampf ablassen, manchmal ist das Leben schwer. Und das gehört dazu. Das ist ebenso Teil des Lebens. Und genau das geht bei einigen, mir eigentlich total sympathischen Jungen frauen dann vielleicht etwas verloren. Ich genieße meine guten Zeiten und weiß glückliche Momente und die kleinen Dinge im Leben wesentlich mehr zu schätzen als früher. Und dennoch – es gibt sie, die schweren Zeiten. Und das ist ok. Und genau dieses Zugeständnis fehlt mir bei den selbst ernannten Instagram-Live-Coaches.
Hallo Lina, tolle, wichtiger Post, der gerade die Zeit trifft. Diese immer Heile Welt , wo alles optimal ist und man alles machen kann, ist manchmal anstrengend zu verfolgen. Aber trotzdem fehlt mir in dem Post ein bisschen Selbst – Reflektion von Dir… Du trinkst auch morgens den Kaffee auf dem Balkon und Kapstadt wäre mit einem anderen, „normaleren“ Job auch schwerer umsetzbar .
Hallo Sarah,
ich frage das jetzt nicht, um dich und deine Kritik auszuhebeln, aber: hast du den Beitrag ganz gelesen? Er ist nur eine Verlängerung des ersten Beitrags, der direkt in den ersten Zeilen verlinkt wird und in dem ich genau diese Dinge anspreche: wir arbeiten freiberuflich, wir (und damit ich eingeschlossen), sollten uns bewusst sein, dass dieses Leben auf Privilegien aufbaut, die wir anderen nicht als Selbstverständlichkeit unterschieben können. Um genau diese Selbstreflexion dreht sich der ganze Beitrag? Genau darum, dass ich mir dessen so bewusst bin und es mir aufstößt, wie selbstverständlich an anderen Stellen mit den Privilegien umgegangen wird.
Alles Liebe,
Lina
Zu 100% „ja“ zu diesem Text.
Sich seiner Privilegien bewusst zu sein und zu erkennen welche Privilegien man eigentlich besitzt, das ist so wichtig und leider noch viel zu wenig verbreitet. Ich selbst habe lange gebraucht um für das was ich „habe“, für die Freiheiten, die ich besitze, dankbar zu sein. Das zu erkennen ist ein langer Prozess, welchen man aber schon, und nicht nur vom Internet, erwarten kann. Ich habe auch das Gefühl, dass diese Erkenntnis sich verbreitet, zumindest in meinem Umfeld. Aber es braucht seine Zeit. Die Hoffnung stirbt zuletzt. 🙂